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GOTM - Ein Public-Domain-Modell für die Wassersäule.

Hans Burchard und Karsten Bolding

1. Institut für Meereskunde, Universität Hamburg, hans@gotm.net
2. Gemeinsame Forschungsstelle der EG, Ispra, Italien, karsten@gotm.net

Allgemeines

GOTM steht für General Ocean Turbulence Model und soll bedeuten, daß das Modell kleinskalige Turbulenz und vertikale Vermischung so weit wie möglich allgemein und ohne Kalibrierung für spezifische Anwendungen modellieren soll. Dieser allgemeine Charakter wird dadurch unterstrichen, daß das Modell auf Szenarien verschiedener Regionen, Spezifikationen und Skalen angewendet und dadurch verifiziert (und gelegentlich leider auch falsifiziert) wird. Das Modell ist modular aufgebaut, sodaß Verfeinerungen oder Ergänzungen vor allem bei den Turbulenzmodellen, aber auch bei der mittleren Strömungsmodellierung auf einfache Weise durchgeführt werden können. Der Anspruch auf Allgemeinheit ist sehr hochgesteckt, und es gibt immer wieder Situationen, für die Turbulenzschließungen auf höherer Stufe benötigt werden. GOTM ist ein eindimensionales Modell für die Wassersäule, d.h. alle horizontalen Gradienten müssen entweder prognostisch vorgegeben, parametrisiert oder vernachlässigt werden. Das Turbulenzmodul innerhalb von GOTM ist so formuliert, daß es zur Berechnung vertikaler turbulenter Austauschkoeffizienten in dreidimensionale Ozean- und Atmosphärenmodelle integriert werden kann. Das Modell ist anwenderfreundlich, die Erstellung eines Graphical User Interface ist in Arbeit. Beobachtungsdaten können eingelesen werden, um dann - auf das räumlich-zeitliche Modellgitter interpoliert - als Antriebs- oder Validierungsdaten verwendet zu werden. Der Modelloutput ist wahlweise im ASCII- oder im netCDF-Format, einem Binärformat, das von vielen Grafikpaketen eingelesen werden kann. GOTM ist seit April 1999 ein Public-Domain-Modell, das über die Webseite http://www.gotm.net zusammen mit Antriebs- und Validierungsdaten, einer Dokumentation u.v.a.m als FORTRAN77 oder FORTRAN90/95 Quellcode heruntergeladen werden kann. Die Benutzergruppe besteht aus weltweit etwa 90 Anwendern. Die Webseite hatte seit Juni 1999 etwa 4400 Besuche aus über 50 Ländern (Stand November 2000). Außer den Verfassern dieses Beitrages sind sind noch Manuel Ruiz Villarreal (manuel@gotm.net, Santiago de Compostela), Pierre-Phillipe Mathieu (pp@gotm.net, Reading) und Georg Umgiesser (georg@gotm.net, Venedig) Mitautoren von GOTM. GOTM ist seit Oktober 2000 auf dem Server der Firma tkw-websolutions (http://www.tkw.dk) in Dänemark beheimatet.

Mittlere Strömung und Schichtung

Standardgleichungen für mittlere Größen sind für die horizontalen Geschwindigkeitskomponenten, potentielle Temperatur, Salzgehalt und Schwebstoff vorgesehen. Ein allgemeiner Tracer-Algorithmus ist ebenfalls in GOTM enthalten, sodaß auf einfache Weise ein biologisches Modell integriert werden kann, wenn nur Formulierungen für Quellen und Senken bekannt sind. Verschiedene Terme, die horizontale Gradienten enthalten, müssen besonders behandelt werden. Die Wasserstandsneigungen, die den barotropen Druckgradienten ausmachen, werden von lokalen Messungen oder aus Ergebnissen dreidimensionaler Modelle bestimmt. Es reicht auch, eine Zeitserie der bodennahen Geschwindigkeitskomponenten einzugeben, um den barotropen Druckgradienten zu rekonstruieren. Der interne Druckgradient, der sich aus horizontalen Dichtegradienten ergibt, kann auch aus Messungen oder Modellergebnissen vorgegeben werden. Advektive Terme und horizontale Diffusion in den Geschwindigkeitsgleichungen werden vernachlässigt. Rotation und vertikale Vermischung (vorausgesetzt, der vertikale Austauschkoeffizient ist bekannt) stellen keine Probleme dar. Bei den Gleichungen für die aktiven Tracer ist vor allem die Behandlung der advektiven Terme problematisch: Hier gibt es drei Möglichkeiten: Vernachlässigen (vor allem im offenen Ozean), Relaxation an Beobachtungen, oder Vorgabe gemessener horizontaler Gradienten. Ist eine Vertikalgeschwindigkeit aus Messungen oder theoretischen Angaben bekannt, kann diese für die vertikale Advektion verwendet werden. Als Randbedingungen an Oberfläche und Boden werden Standardbedingungen verwendet, die Oberflächenflüsse werden entweder vorgegeben oder aus meteorologischen Messungen mit Hilfe von Bulk-Formeln unter Verwendung der gemessenen oder simulierten Oberflächentemperatur berechnet. Das Schwebstoffmodul ist zunächst für nicht-kohäsiven Schwebstoff geschrieben, soll aber noch verfeinert werden. Die Dichte wird mit Hilfe einer Zustandsgleichung berechnet, mit der vollen UNESCO-Gleichung oder Linearisierungen derselben. Ein etwas exotisches Modul simuliert die Interaktion von Seegraswiesen mit Turbulenz und Strömung.

Turbulenz

Die Modellierung der Turbulenz basiert bisher auf der Boussinesqschen Wirbelviskositätsannahme, bei der turbulente Flüsse als proportional zu den Gradienten der transportierten Größen modelliert werden. Damit sind Phänomene wie etwa Countergradientenflüsse, wie sie bei tiefer Konvektion eine Rolle spielen, nicht reproduzierbar. Ebenfalls nicht berücksichtigt ist der direkte Effekt von Rotation auf turbulente Vermischung, der allerdings nur bei tiefer Konvektion in hohen Breiten eine signifikante Rolle spielen dürfte. Die Proportionalitätsfaktoren zwischen Flüssen und Gradienten sind die vertikalen Austauschkoeffizienten, die nach der Kolmogorov-Prandtl-Relation als Produkt dreier Faktoren zu berechnen sind: einer dimensionslosen Stabilitätsfunktion, einer turbulenten Geschwindigkeitsskala und einer turbulenten Makro-Längenskala. In den Stabilitätsfunktionen, für die zwischen Impuls und Tracern unterschieden wird, und die von Scherung und Schichtung abhängen können, sind mitunter komplexe algebraische Schließungen für die Terme zweiter Ordnung enthalten. Für die Berechung der Geschwindigkeits- und der Makrolängenskala stehen Null-, Ein- und Zweigleichungsmodelle zur Verfügung. Bei den Zweigleichungsmodellen sind bisher die am meisten verbreiteten k-epsilon und Mellor-Yamada-Modelle in GOTM enthalten. Für diese Modelle sind einige neuere Erkenntnisse aus der Turbulenztheorie berücksichtigt. Vor allem für Vergleichszwecke sollen auch anders strukturierte Turbulenzparametrisierungen wie etwa das KPP-Modell in GOTM integriert werden.

Eine große Schwäche aller Turbulenzmodelle ist die Reproduktion interner Vermischungsvorgänge, die durch die Dynamik interner Wellen kontrolliert werden. Diese werden in der Regel nicht lokal durch verschiedene komplexe Prozesse erzeugt, die selbst von 3D-Modellen nicht aufgelöst werden können. In GOTM wird das Problem dadurch gelöst, daß die Makro-Längenskala durch die Ozmidov-Länge und die turbulente kinetische Energie durch einem vorgegebenen Minimalwert (tuning-Parameter) nach unten begrenzt werden. Dadurch können Hintergrund-Werte der Wirbelviskosität von der Ordnung 10-2- 10-1 m2/s eingestellt werden.

Koppelung mit 3D-Modellen

Sowohl in der FORTRAN77-, wie auch in der FORTRAN90/95-Version von GOTM sind die Turbulenzmodule so vom Rest des Modells separiert, daß eine Integration in dreidimensionale Strömungsmodelle ermöglicht wird, ohne Änderungen in GOTM vornehmen zu müssen. Innerhalb der 3D-Modelle müssen lediglich Schnittstellen installiert werden, die die Datenorganisation von GOTM auf die des 3D-Modells überträgt. Das mag die Rechen-Geschwindigkeit von besonders effizienten 3D-Modellen heruntersetzen, die bisherigen Erfahrungen mit 3D-Community-Modellen zeigen jedoch, daß das generell nicht der Fall ist. Koppelungen zwischen 3D-Modellen und GOTM wurden bisher mit MOM (Modular Ocean Model, GFDL, Princeton), einem klassischen OGCM, mit POM (Princeton Ocean Model, Princeton University), einem Küstenmodell, mit COHERENS (Europäische Gemeinschaft), einem Schelfmeermodell, mit MOHID (Instituto Superior Técnico, Universidade Tecnica de Lisboa, Protugal) und mit GETM (General Estuarine Transport Model, Bolding & Burchard), beides Ästuarmodelle durchgeführt. Diese Koppelungen sind zur Zeit in der Erprobungsphase.

Informatisches

Um die volle Leistungsfähigkeit von GOTM zu erhalten, werden ein FORTRAN90/95-Compiler, das Programm Make und die netCDF-Bibliothek benötigt. GOTM läuft unter allen UNIX- und LINUX-Systemen, wird aber auch unter WINDOWS-95 und Nachfolger-Betriebssystemen angewendet. Für die Dokumentation des Quellcodes wird das System protex verwendet, mit Hilfe dessen sich Standard-LATEX-Text in das Programm integrieren läßt, mit der Möglichkeit, auch komplexe mathematische Formeln und Gleichungen gut lesbar zu dokumentieren. Da protex im Makefile als Ziel angegeben ist, läßt sich mit dem Kommando make doc ein LATEX-Dokument von etwa 120 Seiten Länge produzieren.

Anwendungen

Die wohl bekannteste GOTM-Anwendung ist die Simulation der Deckschicht bei OWS Papa im nördlichen Pazifik, für die für einen Zeitraum von über 20 Jahren Messungen von Temperaturprofilen und meteorologischen Parametern vorliegen. Typische Schelfmeer-Anwendungen, bei denen sowohl Oberflächen wie auch Bodenprozesse simuliert werden, sind in der Irischen See sowie der nördlichen Nordsee lokalisiert, wobei FLEX (Fladengrund-Experiment 1976) der Klassiker ist. Für die neueren Daten liegen auch Messungen der turbulenten Dissipationsrate vor, die durch die GOTM-Simulationen weitgehend reproduziert werden konnten. GOTM enthält weiterhin idealisierte Szenarien, wie etwa Penetration einer Deckschicht in eine stabil geschichtete Wassersäule durch Wind (Kato-Phillips-Experiment) oder Abkühlung (Deardorff-Experiment). GOTM wird auch verstärkt in Ästuaren angewendet, wobei das idealisierte Szenario Estuary mit konstantem horizontalen Gradienten des Salzgehaltes hilfreich ist.

Benutzergruppe

Ohne die Anwender von GOTM, die vor allem in Europa und Nordamerika arbeiten, hätte GOTM niemals zu einem gut getesteten und dokumentierten Modell werden können. Durch den regelmäßigen Kontakt zwischen den Autoren und den Anwendern konnte die Anwenderfreundlichkeit, aber auch die physikalische Grundlage des Modells erheblich verbessert werden. Es werden regelmäßig Rundbriefe per email an die Benutzergruppe (users@gotm.net) geschickt, die über Modellverbesserungen informieren. Die enge Verknüpfung von GOTM mit der konzertierten Aktion CARTUM (Comparative Analysis and Rationalisation of Second-Moment Turbulence Models, siehe http://www.ifm.uni-hamburg.de/~wwwto /ResearchTopics/CARTUM/carthome.htm), die Turbulenzmodellierer aus aller Welt zusammenbringt, sorgt für weitere Anregungen zu Verbesserungen und Weiterentwicklungen.



Karsten Bolding 2000-12-20